In verschiedenen Zeitungen und Magazinen wird derzeit von der digitalen Bedrohung der deutschen Wirtschaft gesprochen. Mir scheint, daß es da überhaupt nicht um eine digitale Bedrohung geht. Einige Unternehmen haben einfach früher und besser als andere gelernt mit Komplexität umzugehen. Es sind Technologieunternehmen, die digitale Produkte entwickeln und deswegen früher als andere eine Notwendigkeit zum Lernen hatten.
Zeitgleich erscheinen in Spiegel Online und Die Welt zwei Artikel, die eine Bedrohung traditioneller Unternehmen und Wirtschaftszweigen durch Technologiefirmen aus USA und das Digitale generell sehen. Erwähnt wird unter anderem eine Studie von Roland Berger, die im Auftrag des BDI durchgeführt wurde. In dieser Studie werde ausführt, daß es eine Verschiebung der Wertschöpfung in den IT-Bereich gäbe.
Die Botschaft ist immer die gleiche: Deutschland funktioniert. Unser Geschäftsmodell ist intakt und wird es bleiben. Und falls es doch irgendwo Engpässe gibt, wie bei der Netzinfrastruktur, dann werden sie eben beseitigt, so wie es die "Digitale Agenda" der Bundesregierung vorsieht.
Skepsis ist angebracht. Die Digitalisierung ist dabei, das Leben umzuwälzen. Wie die Wirtschaft funktioniert, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienen, wie wir zusammenleben, wie wir denken, lernen und fühlen - all das ist einem epochalen Wandel unterworfen. Wer die Folgen dieser Zeitenwende vor lauter Selbstzufriedenheit unterschätzt, lebt gefährlich.
In Die Welt wird hinzufügt:
Wir haben legendäre Weltmarktführer wie BMW, BASF oder Linde. Mit diesem fast schon trotzigen Gefühl versuchen Politik und Wirtschaft den Rückstand Deutschlands gegenüber amerikanischen Tech-Giganten wie Google, Apple oder Facebook zu kontern. Doch das könnte ein Trugschluss sein – ein teurer. Die Riesen aus dem Silicon Valley sind dabei, Deutschlands Aushängeschildern den Rang abzulaufen.
Als jemand, der seit langer Zeit im IT-Bereich - ich nenne das eigentlich nie so - tätig ist, fällt mir dabei eigentlich nur auf, daß da ein Phänomen beschrieben wird, welches aus meiner Sicht so rein gar nichts mit IT oder Digital zu tun hat.
Aus meinen Beobachtungen in Unternehmen in so unterschiedlichen Weltgegenden wie Europa, Nord- und Südamerika, China ergibt sich mir vielmehr eine ganz andere Schlußfolgerung hinsichtlich der Ursache.
Die Bedrohung kommt von innen und ist überall auf der Welt identisch.
Da meine Erfahrung hauptsächlich aus der IT-Welt stammt, kann ich sogar bestätigen, daß die IT-Welt so rein gar nichts besser macht als es andere Industrien tun. Die IT-Leute zeigen exakt dasselbe Verhalten wie alle anderen. Und sie scheitern sehr oft am Umgang mit etwas, welches derzeit immer offensichtlicher zu werden scheint.
Traditionelle Management-Ausbildung geht von einem Unternehmen als einem geordneten System aus, in welchem bestimmte Ursache-Wirkung-Ketten existieren und welches steuerbar ist. Wenn man Problem X hat, dann gibt es in Form von Y eine beste Vorgehensweise, die immer, unabhängig von der Branche und Betriebsgröße oder anderen Faktoren, zu den erwünschten Ergebnissen führt.
Das Dumme ist nur, daß diese Denkweise einerseits zutiefst menschlich ist und auf der anderen Seite aus der einfachen oder maximal komplizierten Welt von anno 1900 stammt. Damals ging es um Massenproduktion mit Hilfe von ungebildeten Arbeiten und neuen Maschinen, die von irgendwem bedient werden mußten. Die Kunden hatten auf dem Markt keine große Auswahl, weil es für bestimmte Produkte nur wenige Anbieter gab und Nachfrage, mangels Sättigung, sehr groß war. Wer noch nie ein Auto oder einen Toaster hatte, der wird ohne Murren das erst beste verfügbare und bezahlbare Produkt kaufen…
Die heutige Lage ist aber eine ganz andere. Man kann guten Gewissens sagen, daß es für jedes Produkt und Dienstleistung irgendwo auf der Welt eine Vielzahl von Anbietern gibt. Keiner von diesen Anbietern kann hoffen, daß er einfach nur das bloße Anbieten des Produktes Verkaufserfolge haben wird.
Bislang gab es eine einfache Lösung, die wahrlich perfekt dem linearen Denken entsprungen ist. Man kann im Wettbewerb immer durch das Senken des Preises bestehen und man kann die Konkurrenz auch über einen Preiskampf aus dem Markt drängen. Wer seine Kosten nicht mehr weiter reduzieren kann, um seinen Verkaufspreis immer weiter zu reduzieren, wird früher oder später aufgeben müssen. Das ist Wettlauf nach unten. Doch irgendwann gelangt man an untersten Punkt an. Es ist auch nicht nur der Preis, der sich bewegt. Die Qualität des Produktes wird sich auch bewegen.
Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen kann und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Menschen.
Egal wohin man schaut, mit wem man spricht oder welche Bücher man liest, überall taucht eine Element immer wieder auf. Je flexibler, anpassungsfähiger und widerstandsfähiger ein Unternehmen ist, desto weniger wird es streng hierarchisch geführt. Es gibt Unternehmen, die schon immer so waren und Wert darauf gelegt haben die eigenen verteilten Strukturen mit lokaler Führungskompetenz nicht zu verlieren. Und es gibt solche, die, teilweise nach schmerzhaften Erfahrungen, sich haben helfen lassen und nach einer Transformation nun flexibler, anpassungsfähiger und widerstandsfähiger als je zuvor sind. Es ist leicht Beispiele zu finden, daher verzichte ich jetzt auf die entsprechende Liste, welche auch immer länger wird.
Das Was und auch das Wie zur eigenen Veränderung ist seit mehreren Jahrzehnten hinlänglich bekannt. Es gibt zig Wege und auch eine Vielzahl von Helfern (Coaches, Change Agents, etc.), sodaß für jede Situation etwas Passendes gefunden werden kann.
Es braucht aber auch den Mut zur Veränderung.
Wenn man den Mut zur Veränderung aufbringt, sich fachlich begleiten läßt, dann wird das Neue auch nicht mehr als Bedrohung, sondern eher als Chance begriffen. Dann kann man nicht nur überleben, sondern - siehe Apple - von einem fast bankrotten Unternehmen, quasi über Nacht, zum wertvollsten Unternehmen der Welt werden.
Man muß nur begreifen, daß man ein Problem hat und sein eigenes Verhalten ändern muß. Dann ist die Therapie auch schon so gut wie bestanden.
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